2020 – das sah auf den ersten Blick nach einer sehr adretten Jahreszahl aus, leicht zu merken und grafisch ausgewogen. In die Weltgeschichte eingegangen ist es inzwischen eindeutig eher als, nun ja, ziemliches Arschlochjahr, um ein klares Wort zu finden, das allerhöchstens ein paar Punkte in der B-Note durch die Abwahl von Donald Trump sammeln konnte. Davon abgesehen ließe es sich leicht umbenennen in „Und dann kam Corona“. (Falls unvorstellbarerweise irgendwann jemand nicht mehr wissen sollte, was es damit auf sich hatte: das Coronavirus verursacht eine Atemwegserkrankung, die wir hierzulande erst einmal für ein vornehmlich chinesisches Problem hielten, bis das Virus im Sprinttempo auch bei uns einmarschierte, die meisten von uns wenigstens zeitweise in quarantäneähnliche Zustände versetzte und neben zahllosen Menschenleben auch gleich das öffentliche Leben sowie das ein oder andere Grundrecht einkassierte.)
Das ging auch an meinem Laufjahr nicht spurlos vorbei. Dieses wiederum begann eigentlich schon ein bisschen früher, nämlich im Herbst 2019 mit der Nachricht, dass mein Arbeitgeber alle interessierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Hamburg-Marathon 2020 einlud. Zu diesem Zeitpunkt pendelte ich nur zum Wochenende von meiner Arbeitsstelle in Baden-Baden nach Hause ins rheinische Köln, und fand deshalb, ich hätte unter der Woche viel Zeit zum Trainieren – wenn ich also das Thema Marathon noch einmal mit einer gewissen Ambition angehen wollte, wäre doch jetzt eine super Gelegenheit. Bei unserer feierabendlichen Laufgruppe überzeugte ich auch meine noch zweifelnde Kollegin von diesem Vorhaben und unter dem Motto „Keine halben Sachen“ meldeten wir uns für die Marathondistanz an.
Nach einigen Marathonläufen um die fünf Stunden wollte ich dieses Mal meine persönliche Bestmarke unbedingt verbessern, und so recherchierte ich etwas nach geeigneter Unterstützung für meinen Plan. In der näheren Umgebung stieß ich bei der Laufwelt Rastatt auf einen Marathonkurs. Auch meine „Partnerin in Crime“ ließ sich für etwas Anleitung und Trainingsexpertise begeistern und so saßen wir beide zu Jahresbeginn nach vielen gemeinsamen dunklen Winterkilometern schließlich mit lauter uns unbekannten Menschen in einem Vortragsraum und dachten völlig naiv, wir seien zum Spaß dort, um „Breitensport“ zu betreiben. Little did we know!
The End of Running as we knew it
Trainer Klaas belehrte uns eines besseren: Nicht nur die Definition von Breiten- vs. Leistungssport, auch der grob vorgestellte Trainingsplan der kommenden Monate machte deutlich, dass es mit dem bloßem „Hobbylaufen“ wie wir es kannten nicht getan sein würde. Etwas betreten fuhren wir nach Hause. Ich würde ein Gespräch mit meinem lieben Mann führen müssen und ihm erklären, dass wir uns in Zukunft nicht nur ausschließlich am Wochenende sehen würden, sondern dass ich dann auch die meiste Zeit laufen „müsste“. Aber mein Ziel war gefasst: Ich war für Hamburg angemeldet und ich wollte 4:20 Stunden laufen.
In den kommenden Wochen änderte sich alles, was ich dachte, übers Laufen zu wissen. Obwohl ich nach über zehn aktiven Laufjahren dachte, ich könnte langsam laufen, stellte ich fest, dass das nicht stimmte (und das gilt für beide Lesarten). Ich lernte, wie wertvoll es sein kann, ernsthaft nach Herzfrequenzbereichen zu trainieren und dass das dennoch nicht die ganze Wahrheit ist. Ich lernte, dass es manchmal richtig weh tun muss (also im Sinne von Anstrengung) wenn man schneller werden will. Ich lernte, dass Bahntraining Spaß machen kann und dass zu Trailrunning mehr gehört, als Höhenmeter durch den Wald zu schnaufen. Vor allem aber lernte ich, wie schön es sein kann, mit einer Gruppe von ähnlich Verrückten zu trainieren – etwas, das sich mir zuvor nie in diesem Ausmaß erschlossen hatte, schätzte ich doch eher das Freiheitsgefühl auf einsamen Strecken. Doch aus den Fremden im Vortragsraum waren in kurzer Zeit Freud- und Leidensgenossen geworden, mit denen sich im Laufschritt scherzen, plaudern, reimen (!), aber auch schweigen ließ.
Und dann kam Corona
In der zweiten Märzhälfte überschlugen sich dann die Ereignisse: Neue Beschlüsse im Halbtagestakt führten dazu, dass ich schließlich am 20. März das Nötigste in meiner Dienstwohnung zusammenpackte und mich in einen so gut wie menschenleeren ICE nach Köln setzte – vorerst auf unbestimmte Zeit, die ich von zu Hause aus arbeiten würde. Gemeinsames Laufen in unserer Trainingsgruppe war innerhalb weniger Tage undenkbar geworden.
So leicht ließ sich das Trainerteam rund um Klaas aber nicht unterkriegen: Was an gemeinsamen Läufen wegfiel, wurde durch zusätzliche wöchentliche Trainingseinheiten per Zoom kompensiert, sodass fortan das bei Läufern oft unbeliebte Stabilisationstraining einen ganz neuen Stellenwert erhielt: Die Bauchmuskeln (und nicht nur die) der Lauftruppe wurden nach allen Regeln der Kunst zum Brennen gebracht.
Coronathon in Bestzeit
Während ein Marathon nach dem anderen abgesagt wurde, ersann das Trainerteam Alternative um Alternative. Übrig blieb am Ende ein gemeinsamer Wettkampftag, den zwar jeder für sich selbst bestritt, an dem aber eben doch alle gemeinsam liefen.
Und so nahm ich bei einigermaßen scheußlichem Wetter (Wind, Schneeregen, Kälte) am Kölschen Rheinufer mein Alternativziel in Angriff: einen Halbmarathon unter zwei Stunden zu laufen. Mit eingeplanten Versorgungspunkten und dem besten Mann der Welt als Fahrradbegleitung an meiner Seite gelang mir, was ich vorher ganz ehrlich nicht für möglich gehalten hatte: Ich lief 21,1 km in 1:56:07 Stunden. Damit gelten selbst vor meinem strengen inneren Kritiker und bei möglichen Messungenauigkeiten die zwei Stunden als klar geknackt.
Das war natürlich noch nicht alles, was 2020 passiert ist - zu diesem Zeitpunkt war ja gerade mal März! Ob ich doch noch einen Marathon gelaufen bin und was dieses Spezialjahr sonst noch an Überraschungen zu bieten hatte, gibt es dann aber in Part 2 zu lesen.
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