Direkt zum Hauptbereich

Die Kunst, sich unterkriegen zu lassen

Acht Kilometer Tempodauerlauf sollten es werden, mit je zwei Ein- und Auslaufkilometern. Der Himmel war grau und die Online-Wetterauskunft behauptete, es seien 16 Grad. Das entpuppte sich als Lüge, schwül war es außerdem, und die Kombi aus langen Ärmeln und kurzen Beinen erwies sich schnell als viel zu warm. Doch für eine Umkehr zum Kleiderwechsel fehlte mir die Zeit, und so gab ich dem Gedanken "Ach, wird schon gehen" nach. Am Ende war das Einzige, was wirklich fast ging, ich selbst. Vielleicht maximal zwei Kilometer hielt mein Tempo, danach brach ich ein. Zunächst ein bisschen, ich nahm etwas Tempo raus, doch es half nichts. Spätestens nach dem Wendepunkt (auf den ich meine letzte Hoffnung gesetzt hatte, weil es ab hier den sachten, aber stetigen Anstieg wieder zurück geht) wusste ich, dass dieser "Tempodauerlauf" keiner mehr war. Ich gab den Kampf verloren, auch wenn die Stimme in meinem Kopf, die den Trainingsplan im Überblick hat, wütend und gedemütigt heulte.
Nichtsdestotrotz lagen sechs Kilometer Rückweg vor mir. Diese an und für sich überschaubare Strecke schien plötzlich endlos: Die Beine waren schwer, der Atem pfiff, der Schweiß lief in unerklärlichen Strömen - doch das Schlimmste war die völlige Demoralisierung durch die unerbittlich weiterlaufende Uhr. Warum die Füße noch zu einem einzigen Laufschritt heben? Die Zeit war nicht mehr zu retten, der Spaß war mir schon vor Kilometern mit Siebenmeilenstiefeln davongelaufen. Augenblicklich fehlte mit eine gute Antwort auf die verdammte Warum-Frage. Selbstzweifel über Selbstzweifel türmten sich vor mir auf und machten den Abstieg, auf dem ich mich normalerweise freue dass ich nur noch die Füße heben brauche und der Rest ganz von alleine läuft, zu einem wahren Berg. Wenn mir hier, auf popeligen zwölf Trainingskilometern, schon die Antworten ausgingen, wie sollte ich dann den verfluchten Wettkampf schaffen, und auch noch in einer halbwegs anständigen Zeit?
Am Ende war es wohl der schiere Stolz, der an diesem Tag den Laufschritt rettete. Ich hatte das Tempo verloren geben müssen, doch um mit geradem Rücken heimkehren zu können, musste ich weiterlaufen. Und das tat ich. Es war so verflucht anstrengend, und der Mühe Lohn war keine tolle Zeit, kein Intervalltraining und kein Berglauf im Trainingsprotokoll. Es war lediglich eine Niederlage mit erhobenem Haupt.
In Wahrheit sind es diese Läufe, für die man eigentlich eine Medaille verdient hat.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Girls‘ Morning Out

Ich habe eine beste Freundin und das ist ein riesengroßes Glück. Wir haben zusammen Abitur gemacht, das ist inzwischen eine Weile her, und kennen uns nun schon etwas länger als unser halbes Leben. Neben unserem gemeinsamen Interesse für Indierock, unserem wahnsinnig guten Humor und der phänomenalen Fähigkeit, Bierflaschen mit Medaillen zu öffnen (oder den Zähnen, wofür wir aber inzwischen zu vernünftig sind), verbindet uns auch die Leidenschaft fürs Laufen. Zwar haben wir zu Schulzeiten in derselben Stadt gelebt und auch Teile des Studiums noch in relativer örtlicher Nähe zueinander verbracht, doch spätestens mit dem Berufseinstieg zog es meine Freundin in urbanere und kosmopolitischere Gefilde als Nordrhein-Westfalen zu bieten hat – seither sehen wir uns seltener, als wir beide gut finden. So mag es wenig erstaunen, dass wir die raren Treffen dann ordentlich feiern. Lange, lange Zeit bedeutete das vor allem, feste anzustoßen. So oft und so viel, bis von dem kostbaren Abend (oder T...

Die blaue Linie

Über Gewohnheiten und Grundsatzdiskussionen mit mir selbst. Den meisten Marathonläufern (oder auch Teilnehmern weniger selbstgeißelnder Stadtläufe) ist sie wahrscheinlich in irgendeiner Form bekannt: Die blaue Linie. Sie zeigt den sich wettbewerbenden Läufern den Weg, stetig zieht sie sich immer weiter, ohne Unterbrechungen, ein Leuchtturm der Kontinuität.  Na gut, sie ist vielleicht nicht immer blau, und je nachdem, wie gut das Lauflinienmalgerät so funktioniert hat, gibt es hie und da vielleicht auch eine kleine Lücke. Aber alles in allem ist die blaue Linie für den laufenden Athleten das, was das weiße Kaninchen für Alice war: Es gilt, ihr zu folgen.  Was mich an dieser Linie so sehr fasziniert ist ihre Beständigkeit. Also, eigentlich fasziniert mich gar nicht die Linie an sich, sondern das, wofür sie steht – und zwar schon in Bezug auf das Laufen. Einer gewissen Beständigkeit in dieser Hinsicht darf ich mich sicher auch selbst rühmen, immerhin laufe ich in...

11 (Einsteiger-)Tipps, mit denen Trailrunning richtig Spaß macht

(und drei Zusatztipps für Flachländer wie mich, die Höhenmeter bislang nur von der Anzeige im Flugzeug kannten.) Trailrunning sieht auf Fotos immer super aus: Der laufende Mensch ist instagramtauglich von der Natur gerahmt, das trendige Waldbaden wird gleich miterledigt und es kommt automatisch ein bisschen Abenteuerfeeling auf. Aber, oh weh, setzt der Asphaltbezwinger den Fuß erstmals in wurzeliges, gar hügeliges Gelände, um dort zu laufen, zeigt sich: Es liegen Sachen im Weg, Löcher, Wurzeln und Steine können dem Unachtsamen zur Stolperfalle gelangen und überhaupt, diese Höhenmeter... Wer hat da nur die ganzen Hügel hingestellt?! Ist im Wald laufen vielleicht doch nicht so toll? Oh doch - und mit ein paar Tricks und Kniffen macht es richtig Spaß! 1.  Gehpausen sind super!  Auch erfahrene Trailläufer werden sehr steile Anstiege tendenziell gehend absolvieren, da man hier ansonsten sehr viel Kraft verschenkt. Gerade für Einsteiger kann es bei dem Versuch, alles „durchzulaufen“...